Inhalt des Dokuments
Die Helmholtz-Medaille

Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften verleiht die Helmholtz-Medaille für überragende wissenschaftliche Leistungen auf den Gebieten der Geisteswissenschaften, Sozialwissenschaften, Mathematik und Naturwissenschaften, Biologie, Medizin und der technischen Wissenschaften an Einzelpersönlichkeiten. Die Medaille kann alle zwei Jahre verliehen werden.
Der Vorstand der Akademie setzt eine Medaillenkommission ein. Die Kommission hat die Aufgabe, eine Empfehlung zur Vergabe der Helmholtz- und Leibniz-Medaille vorzulegen. Vorstand und Medaillenkommission beraten in gemeinsamer Sitzung über Vorschläge, die der Versammlung zur Beschlußfassung vorgelegt werden.
Die Helmholtz-Medaille 2006 wurde verliehen an
Professor em. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. Dr.-Ing. E.h. mult. Günter Spur
in Anerkennung seiner überragenden wissenschaftlichen Leistungen.

Professor em. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. Dr.-Ing. E.h. mult. Günter Spur, geboren 1928 in Braunschweig, gehört zu den international namhaftesten Technikwissenschaftlern Deutschlands.
Er studierte von 1948-54 an der Technischen Hochschule seiner Heimatstadt Maschinenbau mit der Fachrichtung Fertigungstechnik. Von 1956-61 arbeitete er - zunächst als Wissenschaftlicher Assistent, dann als Oberingenieur und Leiter des Versuchsfeldes - am Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik der TH Braunschweig, wo er 1960 zum Dr.-Ing. promoviert wurde. In den Jahren 1962-65 war er - nachdem er dort zuvor als Konstrukteur gearbeitet hatte - in der renommierten Bielefelder Werkzeugmaschinenfabrik Gildemeister als Konstruktionsleiter und -direktor tätig. In dieser Zeit entstanden bedeutende technische Entwicklungen im Bereich der Drehmaschinen, die mit wichtigen Patenten belegt sind.

1965 wurde Günter Spur als Professor auf den traditionsreichen Lehrstuhl für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik der Technischen Universität Berlin berufen, der 1904 von Georg Schlesinger gegründet wurde und als Wiege der modernen Betriebswissenschaft gilt. Zugleich wurde er zum Direktor des Instituts für Werkzeugmaschinen ernannt. Berlin, für G. Spur stets Brücke zwischen Ost und West, wurde fortan zum Zentrum seines Wirkens. Wiederholt hatte er auf die Notwendigkeit hingewiesen, ein Institut für Produktionstechnik einzurichten, das angewandte Forschung und Entwicklung für Wirtschaft und öffentliche Auftraggeber betreiben sollte: 1976 wurde schließlich das Berliner Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik gegründet und G. Spur zu dessen Leiter bestellt. Bis zu seiner Emeritierung 1997 prägte und etablierte Günter Spur das im Produktionstechnischen Zentrum Berlin (PTZ) zu einem Doppelinstitut zusammengeführte Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb (IWF) der TU Berlin und das Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) zu einem weltweit bekannten und führenden Zentrum der Verbindung von universitärer Einheit von Forschung und Lehre mit der industrienahen Anwendungsorientierung. Aus dieser Berliner Schule der Produktionswissenschaft gingen unzählige diplomierte und promovierte Ingenieure sowie zahlreiche Professoren an Universitäten und Fachhochschulen hervor. Gleichzeitig sind auf die Innovationskraft G. Spurs und seiner Mitarbeiter am Doppelinstitut mehr als 40 Firmengründungen zurückzuführen.

Die große Bandbreite und der herausragende Einfluß der wissenschaftlichen Arbeiten Günter Spurs werden durch weit über 800 wissenschaftliche Veröffentlichungen, zahlreiche Vorträge im In- und Ausland sowie 20 Patente dokumentiert. Umfangreiche Monographien geben in eindrucksvoller Weise Zeugnis seines OEuvres - exemplarisch genannt seien: "Optimierung des Fertigungssystems Werkzeugmaschine" (1972), "Produktionstechnik im Wandel" (1979), "Keramikbearbeitung" (1989), "Vom Wandel der industriellen Welt durch Werkzeugmaschinen" (1991), "Fabrikbetrieb" (1994), "Die Genauigkeit von Maschinen. Eine Konstruktionslehre" (1996), "Das virtuelle Produkt. Management der CAD-Technik" (1997, gem. mit F.-L. Krause) und "Vom Faustkeil zum digitalen Produkt. Ein kulturgeschichtlicher Beitrag zur Entwicklung der Berliner Produktionswissenschaft" (2005). Die gemeinsam mit W. Fischer herausgegebene Publikation Georg Schlesinger und die Wissenschaft vom Fabrikbetrieb (2000) greift das Schicksal des von den Nazis aus Deutschland vertriebenen Schlesinger und dessen Mitarbeiter auf und reflektiert zugleich die politisch-soziale sowie wirtschaftlich-technische Entwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Darüber hinaus ist G. Spur Herausgeber des zum Standardwerk der Produktionswissenschaft avancierten mehrbändigen "Handbuchs der Fertigungstechnik".
Nach Günter Spur ist die Leitlinie einer weiterentwickelten neuen Produktionstechnik in weitaus geringerem Maße als früher in der Mechanik zu sehen, basiert sie doch vielmehr auf dem engen Zusammenwirken unterschiedlicher neuer Technologien. Früh erkannte er, daß die Fortschritte der Produktionstechnik gerade an den Schnittstellen der Fertigungs- und Werkstofftechnik beispielsweise zur Informations- und Elektrotechnik, zur Verfahrens-, Bau- oder Biotechnik sowie zur Mikroelektronik entstehen - Technologiefelder, die es intelligent und innovativ miteinander zu vernetzen gilt. Eine derart definierte,global orientierte Produktionstechnik muß - wenn sie zur Lösung gesamtgesellschaftlicher Fragen beiträgt - die Probleme des Arbeitsmarkts und Verkehrs genauso berücksichtigen wie die Verschwendung von Ressourcen. Sie zielt daher auf eine umweltschonende Verbesserung der Mobilität und Optimierung der Versorgung mit dem Produktionsfaktor Information, aber auch auf den Schutz und die Bewahrung der Gesundheit des Menschen: Lebenstechnik und Gesundheitstechnik sind Begriffe, die Günter Spur geprägt hat. Mit den Sonderforschungsbereichen "Produktionstechnik und Automatisierung" sowie "Rechnerunterstützte Konstruktionsmodelle im Maschinenwesen" hat G. Spur nicht nur wesentliche Impulse für die wissenschaftliche Zusammenarbeit aller am Fabrikbetrieb beteiligten Disziplinen und insbesondere für die Integration der Bereiche Konstruktion und Fertigung gegeben, sondern auch Automatisierungsgeschichte geschrieben. Mit unvermindertem Engagement und Visionskraft konzentriert er sich heute sowohl auf Fragen der Zukunft von Produktion und Produktionswissenschaft und der Systematisierung von Innovationsprozessen als auch auf Themen der Technikgeschichte und -philosophie.
Schon früh ist Günter Spur zu einem gefragten Gesprächspartner und Berater über seine eigene Disziplin hinaus geworden: So war er u.a. langjähriger Wissenschaftlicher Rat der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF) und Kurator der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. Bleibende Verdienste erwarb er sich auch bei der Neukonstituierung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, als Gründungsrektor der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus sowie als Initiator von acatech - Konvent für Technikwissenschaften der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften e.V.
Zahlreiche Ehrendoktorate und Mitgliedschaften in- und ausländischer Akademien zeugen von der hohen Wertschätzung, die diesem Forscher seit Jahrzehnten entgegengebracht wird. Seine Leistungen sind mit höchsten Ehrungen wie u.a. dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1984), der Grashof-Denkmünze des VDI (1991), der M. Eugene Merchant Manufacturing Medal of ASME/SME (1992), der Ehrenmitgliedschaft der Technischen Universität Berlin (1998), dem Georg-Schlesinger-Preis 2000 für hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Produktionstechnik sowie dem Eduard-Rhein-Wissenschaftspreis der deutschen Technion-Gesellschaft (2002) gewürdigt worden und sichern ihm einen bleibenden Rang.
Indem die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften ihr Gründungsmitglied Günter Spur mit der höchsten ihr zur Verfügung stehenden Auszeichnung ehrt, würdigt sie das wissenschaftliche Lebenswerk eines herausragenden Technikwissenschaftlers von höchstem internationalen Rang, dessen Wirken über die eigene Disziplin hinaus in viele andere Wissenschaftsgebiete ausstrahlt.
Hilfsfunktionen
- Schriftgröße:
- Helmholtz Medaille
- Standardgröße
- größer